Dienstag, 22. Januar 2013

Der Spiegel vom 21.1.13, Titel: Die Psycho-Falle

Der entsprechende Artikel auf Seite 111 trägt die Überschrift "Wahnsinn wird normal". Dort wird von einer Dame berichtet, die nach Wechseln im Lebenslauf und psychischen Belastungen letztlich die Diagnose PTVS erhielt. Berichtet wird von diversen Diagnosen, vom Kreieren neuer Krankheiten, vom neuen DSM. In Deutschland orientiert man sich regelmäßig am ICD-10, die anerkannten Diagnosewerke sind der ICD-10 und das DSM.
 
Tatsächlich wird in vielen Fällen PTBS diagnostiziert und man fragt sich nachher, weshalb eigentlich, da die Diagnosekriterien tatsächlich gar nicht vorliegen. Mit diesem Problem haben in der Praxis auch Psychiater zu kämpfen, die sich gegen Pauschaldiagnosen ohne genaue Prüfung der Kriterien wehren.

PTBS ist eine beliebte Diagnose. Leider wird sie aber auch häufig gestellt, wenn man nicht so genau weiß, was man sonst diagnostizieren soll, der Patient aber ganz sicher in einer psychisch belastenden Situation ist. Das Ziel der Diagnostizierenden ist üblicherweise nicht, das System zu belasten, sondern den Menschen zu helfen. Leider passt der vorgegebene Katalog da häufig nicht. Dann wird er eben auch mal passend gemacht.
So gesehen ist es vielleicht wirklich an der Zeit, die Kataloge anzupassen, um die Sachverhalte nbicht verbiegen zu müssen, damit sie in das bekannte System passen.

In meiner Arbeit als Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht, die auch im Sozialrecht tätig ist, begegnen mir solche und andere Diagnosen immer wieder, häufig in meinem Arbeitsbereich Mobbing, aber auch bei Arbeitsunfähigkeitsfragen und bei Fragen, die sich damit beschäftigen, wie ein Arbeitnehmer wieder "in die Arbeit" zurück kommt. Oder wenn jemand nicht mehr arbeiten kann.

Wünschenswert wäre für die juristische Arbeit häufig eine genauere Diagnosestellung, ein Festhalten der Einzelkriterien, denn das ist das, was nachher ggf. auch juristisch benötigt wird.
Es gibt Mediziner und Psychiater, die in diesen Bereichen wertvolle Arbeit leisten.


Zu einer anderen Diagnose, die im Spiegel auf S. 116 auch auftaucht, ADHS, möchte ich auch noch ein Wort verlieren: Bei vielen Kindern wird ADHS bzw. ADS diagnostiziert. Eigentlich sind sie "normal". Aber was ist schon normal. Und weil man ansonsten seltsamen Verhaltensweisen, z.B. einer einfachen "Aufmüpfigkeit" des Kindes nicht Herr wird, geht man mit dem Kind zum Arzt und hofft darauf, dass er Pillen dagegen hat. Mit der Diagnose ADS bzw. ADHS geht es dann viel besser. Damit kann man erklären, warum ein Kind nicht ins System passt. Und man kann es mit Pillen ruhigstellen. Dieser Fall kommt nicht selten vor.
Warum Ärzte diese Diagnose stellen und Kindern Psychopharmaka geben? Sie wollen helfen. Das ist nicht Ironie, das ist Wahrheit. Aber eben in vielen Fällen eine traurige Wahrheit.

Was ist denn dann los, wenn es nicht die Aufmerksamkeitsdefizitsstörung ist? Vielleicht ist das Kind einfach hochbegabt? Oder es passt eben nicht in das System, in dem es leben muss, vielleicht nicht in die Schule, in der es "gelandet" ist. Das bedeutet nicht, dass sich ein Kind nicht sozial integrieren lernen und auch bis zu einem gewissen Maße anpassen lernen müsste. Aber trotz des Bemühens kann es auch schief gehen. Manchmal sind Kinder auch einfach irgendwie "anders" als die anderen, vielleicht neu, vielleicht größer, kleiner, dicker, dünner, intelligenter, schwerer von Begriff, Legastheniker o.v.m. +Sibylle Schwarz kann ein Lied von den "missverstandenen" Kindern singen.
Das Problem kann also ein Problem des Kindes, ein Problem der Umwelt, des Systems, der anderen sein. Immer wieder sind auch Mobbingfälle dabei.

Die Entwicklungen sind jedenfalls deutlich: Die Rate der psychischen Erkrankungen steigt an.

Vielleicht steigen ja auch die seriösen Therapie- und Hilfskonzeptangebote irgendwann so an, dass die Rate wieder zurück geht?
Wünschenswert ist das.

Uns bleibt nichts als die Entwicklung abzuwarten.

Hinsichtlich der Änderung von Katalogen sollten wir uns aber auch vor Augen halten, dass sich auch das Leben ändert und dass es vielleicht besser ist, dass Handwerkszeug an die tatsächliche Arbeit anzupassen als den Fuß so zuzuschneiden, dass er in den Schuh passt. Das hat schon Aschenputtels Stiefmutter bei ihren Töchtern erfolglos versucht. Haben wir etwas aus den Märchen von damals gelernt?

Ihre
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht
Nathalie M. Brede

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