Freitag, 30. November 2012

Rechtliche Fragen, Sozialversicherung und demographischer Wandel

Der demographische Wandel unserer Gesellschaft

mag optisch einigermaßen leicht darzustellen sein, ist aber ein hochkomplexes Thema, das für grundlegende Veränderungen unserer Gesellschaft sorgt und uns gesellschaftlich, politisch und rechtlich vor große Herausforderungen stellt.

Die gesellschaftliche / soziologische / politische Dimension überlasse ich als Juristin gerne den Fachleuten auf den jeweiligen Gebieten. In allen Bereichen wird geforscht und prognostiziert, wie sich unsere Gesellschaft verändern wird.
Interessierte mögen sich dazu beispielsweise die Website der Bundeszentrale für politische Bildung anschauen.

Juristisch betrachtet ergeben sich aus dem demographischen Wandel vielfältige Fragen und Probleme. Nur ein minimaler Einblick sei hier angesprochen:
Z.B. durch viele ältere Menschen die Fragen danach, was mit dem, was sie sich in ihrem Leben erarbeitet haben, geschieht, also erbrechtliche Fragen,
bei Familienunternehmen ergeben sich Fragen nach Nachfolgeregelungen, mit Bezug beispielsweise zum Vertragsrecht, Gesellschaftsrecht, Arbeitsrecht.
Und für den Fall, dass man "generell nicht mehr kann" sollte man u.a. mit Betreuungsverfügung und Vorsorgevollmacht vorgesorgt haben.

Die Masse der rechtlichen Fragestellungen und Probleme wird sich aber bei einer immer älter werdenden und sich auch strukturell zunehmend wandelnden Gesellschaft im Bereich des Sozialversicherungsrechts bewegen:
Was passiert im Alter? Was ist, wenn man pflegebedürftig wird? Wie funktioniert die Einstufung in Pflegestufen? Was, wenn das Geld, die Rente, das Pflegegeld, nicht zur Deckung der Pflegekosten ausreichen? Was, wenn die Beiträge zur privaten Krankenversicherung im Alter die Rente praktisch auffressen?
Was passiert, wenn man zwar noch gar nicht so alt ist, aber nicht mehr arbeiten kann?
Was, wenn man einen Unfall hat?
Wovon soll man leben?
Wie kommt man wieder ins Erwerbsleben?
Oder wenn man nicht mehr ins Erwerbsleben kommt: Wie kommt man mit möglichst geringen Abschlägen in die Rente?

Eines ist sicher: Die längere Lebenserwartung der Gesellschaft war bei der "Erfindung" der Rente nicht vorgesehen. Damals lebten die Menschen noch nicht so lange wie heute. Damals gab es aber auch nicht unsere medizinischen Möglichkeiten. Aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, die das Zusammenleben der Menschen und das Verhältnis zwischen Bürger und Staat regelten, waren anders als heute. Die historisch-politisch Interessierten werden das wissen.

Wenn Sie Fragen und / oder Beratungsbedarf zum heutigen deutschen Recht haben,
melden Sie sich und vereinbaren Sie einen Beratungstermin!
Unser Büro in Wiesbaden ist für Sie unter Tel. 0611 / 17 45 36 - 0, unser Büro in Landau unter Tel. 06341 / 99 49 - 49 erreichbar.


Alles Gute,

Ihre

Nathalie M. Brede



Freitag, 23. November 2012

Schlagzeilen der letzten Tage: Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen - Kommentar

Der Kommentar der Fachanwältin für Arbeitsrecht:

Die Abwägung zwischen zwei Positionen, die beide grundrechtlich geschützt sind, die beide von sehr hohem Gewicht sind, ist zwar schwer, aber das Bundesarbeitsgericht hat in den beiden aktuellen Fällen wie gewohnt die ausgewogene Abwägung der Positionen ausgeurteilt.

Die beiden Grundrechte, die sich gegenüberstehen,
die Religionsfreiheit aus Artikel 4 des Grundgesetzes
und
die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG
sorgen immer wieder für Schlagzeilen.

Die Religionsfreiheit ist für uns hier deshalb so wichtig, weil sie auch bedeutet, dass der Staat nicht in die innerhalb der kirchlichen Organisation bestehenden Sturkturen eingreifen darf. Die Religionsfreiheit hat auch einen historischen Hintergrund. Für die Kirchen gelten noch heute, über Art. 140 GG die Art. 136 ff. der Weimarer Reichsverfassung.
Das Bundesarbeitsgericht hat gesagt, dass ein Arbeitskampf zur Erzwingung eines Tarifvertrages so schwerwiegend ist, dass er die Glaubwürdigkeit der Kirche beschädigt.

Die Koalitionsfreiheit ist DAS Recht der Gewerkschaften. Abgesehen davon, dass sich auch der Einzelne auf seine Koalitionsfreiheit berufen kann, die Koalitionsfreiheit also vielschichtiger ist, als sie häufig dem Normalbürger erscheint, ist den aktuellen Entscheidungen gemein, dass die Gewerkschaften gerade auf das Streikrecht als Recht ihrer Koalitionsausübungsfreiheit pochen. Streik ist in der allgemeinen Wahrnehmung das, was Gewerkschaften ausmacht. Das ist zwar nicht tatsächlich so, aber das Streiken ist für Gewerkschaften wesentlich. Und es sichert auch ihr Überleben. Und Gewerkschaften wären keine Gewerkschaften, auch nicht rechtlich, wenn sie nicht bereit wären, Arbeitskämpfe zu führen. Das Streikrecht ist also für die Gewerkschaften selbst grundlegend.

Bei diesen beiden schwerwiegenden Positionen ist es nicht verwunderlich, dass man bis zum Bundesarbeitsgericht kämpft.

Das Bundesarbeitsgericht hat beide Positionen gelungen abgewogen. Es hat der Kirche ihre Arbeitsrechtsregelungsverfahrenshoheit bestätigt, den Gewerkschaften aber auch, dass sie vom arbeitgeberseitigen Gegner Kirche beachtet werden müssen.

-> Lösungen in anderen Verfahren als üblich sind korrekt, aber unter Beachtung beider Positionen, in unparteiischen Schlichtungsverfahren, aber mit einem Schlichtungsergebnis, das für die Arbeitgeberseite als Mindestarbeitsbedingungsergebnis verbindlich ist. 


Schlagzeilen der letzten Tage: Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen - Teil 2

Im zweiten Fall
standen sich gegenüber
die Evangelische Kirche von Westfalen, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers, deren diakonische Werke, vier diakonische Einrichtungen, ein Zusammenschluss mehrerer diakonischer Werke
und
die Gewerkschaft ver.di.

Der Streit:
Nach Warnstreiks von ver.di haben die Kläger verlangt, Streikaufrufe in kirchlichen Einrichtungen zu unterlassen. Ver.di hat sich - wie im ersten Fall der Marburger Bund - auf das Recht aus Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes berufen.

Die Lösung des Bundesarbeitsgerichts:
In kirchlichen Einrichtungen ist das Recht, Arbeitsbedingungen anders als mit Gewerkschaften durch Tarifverträge zu regeln, von der Verwirklichung der Religionsfreiheit gedeckt. Ein eigenständiges, am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes Arbeitsrechtsregelungsverfahren entsprechend dem religiösen Bekenntnis, eingeschlossen auch die Befugnis, die Regelung der Arbeitsbedingungen durch eine paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Kommission und eine Schiedskommission mit einem unparteiischen Vorgesetzten zu übertragen, liegen im Rahmen der funktionalen Verwirklichung der Religionsfreiheit.
Die Koalitionsfreiheit der Gewerkschaften und die Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG erfassen auch konsensuale Lösungen.


Für Nichtjuristen:
In kirchlichen Einrichtungen dürfen Arbeitsbedingungen in anderer Weise geregelt werden als sonst. Das Recht der Gewerkschaften ist nicht unbedingt auf Streik gerichtet, sondern auch auf Einigungslösungen. 

Weiter:
Arbeitsbedingungen können von den Streitparteien gemeinsam ausgehandelt und der Konflikt durch den neutralen Vorsitzenden einer Schlichtungskommission gelöst werden (sogenannter "Dritter Weg"). Wenn die Gewerkschaften in dieses Verfahren eingebunden sind und das Ergebnis als Mindestarbeitsbedingung(en) verbindlich ist (sind), dann dürfen die Gewerkschaften nicht zu Streiks aufrufen.

Nicht zulässig ist, dass die Arbeitgeberseite einseitig zwischen unterschiedlichen Arbeitsrechtsregelungen des "Dritten Weges" wählen darf.

Die Entscheidung:
Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 20. November 2012, Aktenzeichen: 1 AZR 179/11.

Schlagzeilen der letzten Tage: Streikrecht in kirchlichen Einrichtungen

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich damit beschäftigt, ob Mitarbeiter in krichlichen Einrichtungen streiken dürfen.

Die Diskussion darüber ist einerseits eine Diskussion der Gewerkschaften, die sich auf ihr Streikrecht berufen, das auf Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes beruht, andererseits eine Diskussion der kirchlichen Arbeitgeberseite, die sich darauf beruft, dass kirchliches Arbeitsrecht anders ist als das "normale" Arbeitsrecht.

Der kurz gefasste Hintergrund:
Die Kirche kann sich auf das Grundrecht der Religionsfreiheit stützen. Kirchliche Einrichtungen sind sogenannte Tendenzbetriebe, die durch eine bestimmte Ausrichtung gekennzeichnet sind. Die Kirche ist in vielen Bereichen autonom und hat im Rahmen ihrer Autonomie auch eine innerkirchliche Rechtssetzungsbefugnis.


Das Bundesarbeitsgericht hat in zwei Fällen entschieden:

Im ersten Fall
standen sich der von der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche gegründete Arbeitgeberverband und der Marburger Bund (Ärztegewerkschaft) gegenüber. Am 31.08.2009 wurde in einem diakonischen Krankenhaus in Hamburg "erlaubt" gestreikt. Der Arbeitgeberverband verlangte, Streikmaßnahmen in Einrichtungen seiner Mitglieder zu unterlassen.

Das Problem:
"Das bekenntnisgemäß modifizierte Tarifvertragsverfahren schließt den Arbeitskampf aus." Und nach einer Schlichtungsvereinbarung entscheidet im Streitfall eine Schlichtungsstelle darüber, ob der Tarifvertrag zu Stande kommt (sogenannter "Zweiter Weg").

Der Kern der BAG-Lösung:
Das Streikrecht der Gewerkschaft muss zurücktreten. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht "gewinnt" in der Abwägung. Die Streitparteien müssen den "Zweiten Weg" einschlagen, d.h. sich der Schlichtungsstelle unterwerfen.

Die Entscheidung: Urteil des BAG vom 20. November 2012, Aktenzeichen: 1 AZR 611/11.

Pressemeldungen der letzten Tage: Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich entschieden, dass der Arbeitgeber schon am ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorgelegt verlangen darf. Dieses Urteil ging durch die Schlagzeilen, schaffte es sogar auf die Titelseiten als Meldung des Tages.

Dabei ist die Entscheidung für Arbeitsrechtler nicht verwunderlich. Fachleute dürften sich eher darüber wundern, dass es auf den Titelseiten von Tageszeitungen landete bzw. das dieser Rechtsstreit bis zum Bundesarbeitsgericht ausgefochten wurde.

Der entscheidende Satz aus dem Gesetz, § 5 Abs. 1 Satz 3 EFZG: "Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen."
Das Gesetz verlangt keine weiteren Voraussetzungen für dieses Verlangen des Arbeitgebers.

Dass eine tarifliche Regelung nur dann entgegensteht, wenn sie dieses Recht des Arbeitgebers ausschließt, hat das BAG in seinem Urteil ebenfalls klargestellt.

Fazit: Keine Überraschung, aber große Schlagzeilen.